Jahrzehntelang haben Produktentwickler versucht, sich ein möglichst exaktes Bild von Kunden und ihren Bedürfnissen zu machen. Der Haken: Von menschlichen Charakteristiken lässt sich nicht einfach auf ihr Verhalten schließen. Doch es gibt eine Alternative.
Lange Zeit lautete das Mantra: Je genauer wir unsere Zielgruppe kennen, je exakter wir sie beschreiben können, desto bessere Produkte können wir für sie entwickeln. Mit Daten untermauert haben wir deshalb versucht, den Kunden so genau wie möglich zu charakterisieren: wie er denkt, was er fühlt, welche Wertvorstellungen er hat, seine persönlichen und physischen Eigenschaften. Wir gaben ihm einen Namen, ein Gesicht und haben ihn mit allerlei Details ausgestattet. Je genauer wir ihn beschrieben, desto besser. Diese Näherung sollte uns helfen, eine Empathie mit unseren Kunden herzustellen. Oft waren wir selbst ja gar nicht Teil der Zielgruppe für unsere Produkte. War das falsch?
Die Fragestellung, wie gut sich solche Bilder dafür eignen, Verhalten vorherzubestimmen, lässt sich wahrscheinlich mit einer einfachen Frage beantworten: Würde ich selbst gut eine prototypische Person abgeben? Handle ich in einer bestimmten Weise, weil ich die Person bin, die ich bin? Oder tue ich Dinge vielmehr, weil ich damit etwas erreichen will, weil ich eine Aufgabe zu erledigen habe? Zwar mag es Korrelationen zwischen menschlichen Eigenschaften und unserem Handeln geben. Ursächlich sind sie aber nicht.
Denken in Kunden-Jobs
Durch das Buch „The Innovator’s Solution“ von Innovations-Vordenker Clayton M. Christensens aus dem Jahr 2003 macht eine andere Denkweise von sich reden: die sogenannte „Jobs to Be Done (JTBD)“-Theorie. In diesem Buch und in dem 2016 erschienenen Werk „Competing Against Luck“ spricht Christensen davon, dass Menschen Produkte in ihr Leben einbeziehen, um eine Aufgabe zu erledigen. Das tun sie unter bestimmten Umständen. Wenn man dieser Logik folgt, ist es also sinnvoll, den Grund für eine Beauftragung von Produkten herauszufinden und die Umstände, unter denen sie erfolgt.
Kunden können nicht sagen, was sie wollen
Menschen holen neue Produkte aber nicht einfach in ihr Leben, weil sie ein Bedürfnis haben. Sie tun das, wenn sie ein Defizit empfinden und einen Fortschritt machen wollen. Oft ist der höhere Zweck aber nicht einfach erkennbar, die genauen Umstände, unter denen ein Job erledigt werden muss, unbekannt.
Wie die Beauftragung genau aussieht, liegt oft nicht auf der Hand. Kunden können das meist nicht ausdrücken, selbst wenn sie danach gefragt werden. Oft haben Kunden sogar die falschen Vorstellungen davon, welches Produkt das richtige ist oder benutzen Produkte, die für einen ganz anderen Zweck vorgesehen waren.
Mit welchem Job ein Cortado beauftragt wird
Ein Proband mit ausländischen Wurzeln könnte beispielsweise davon berichten, wie er über die Zeit seine Kaffeepräferenz geändert hat. Es geht ihm hierbei nicht nur um den Genuss eines koffeinhaltiges Heißgetränks, sondern um weit mehr. Die Interviewauswertung ergibt, dass er sein momentanes Lieblingsgetränk – einen Café Cortado – dazu nutzt, um bestmöglich ein Heimatgefühl zu erzeugen.
Für die Authentizität des Erlebnisses dürfte die Qualität des Kaffees aber nicht kompromittiert werden und müsste von dem „richtigen“ Barista zubereitet werden. Die Befriedigung eines Heimatgefühls als höherer Zweck wäre anfangs nicht erkennbar gewesen und selbst dem Probanden nicht bewusst. Mit der Kenntnis des eigentlichen Kunden-Jobs könnten nun ganz neue Nutzererlebnisse geschaffen werden.
Kein Mensch wacht morgens auf und will ein neues Produkt
Niemand läuft ohne Grund los und kauft ein neues Produkt oder tauscht eine vorhandene Lösung gegen eine neue. Schließlich müsste man hierfür sein Verhalten ändern. Man interessiert sich erst für ein neues Produkt, wenn man einen guten Grund dazu hat. Voraussetzung hierfür ist, dass etwas nicht mehr so gut funktioniert, wie es sollte. Wir sollten diese Gründe kennen, da sie auf den Kunden-Job hinweisen.
Um einen Kunden-Job richtig zu deuten, braucht man Informationen, die helfen, ihn zu konstruieren. Die Geschichte vom Kauf eines Produkts, oder besser gesagt von seiner Beauftragung, hilft, den Kunden-Job im Kontext der Lebenswirklichkeit kennenzulernen. Die ist voller Gegensätze, Wiedersprüche und Absurditäten. Hier helfen Fragen wie: Was hat den Kauf ausgelöst? Welche Ziele gingen damit ein her? Welche Kompromisse wurden gemacht? Wie zufrieden ist der Kunde mit der neuen Lösung?
Wonach soll ich suchen?
Mittels strukturierter Interviews kann man die Kaufgeschichte herausfinden und daraus lernen, wie der Fortschritt realisiert wurde. Um den Kunden-Job möglichst gut kennenzulernen, sollte man drei Dinge beachten.
1. Welche Kräfte haben den Kunden angetrieben und gebremst?
Es gibt Kräfte, die Menschen dazu bringen, neuen Lösungen in Anspruch zu nehmen, und solche, die sie davon abhalten. Erst wenn die vorwärts gerichteten Kräfte größer sind als die Kräfte, die ihn abhalten, wird er tätig.
2. Wie sahen die Umstände seines Handelns aus?
Die Umstände, unter denen gehandelt wird, haben eine ganz besondere Bedeutung. Schließlich ist es entscheidend, welche Faktoren das Handeln bestimmt beziehungsweise eingeschränkt haben. Beispielsweise ist es für die Erledigung des Jobs von entscheidender Bedeutung, ob ich an einem Mittwochnachmittag in einem Einfamilienhaus ein Loch in die Wand bohren will oder in einem Mehrfamilienhaus an einem Sonntagmorgen um sechs Uhr.
3. Welche Ereignisse bewirkten Verhaltensänderungen?
Idealerweise findet man zusätzlich zu den Kräften und Umständen auch noch typische Ereignisse, die eine Verhaltensänderung auslösen. Welche Ereignisse veranlassten ihn, ein Defizit wahrzunehmen? Welche Ereignisse veranlassten ihn zur aktiven Suche nach einer neuen Lösung? Welche Ereignisse lösten schließlich den Kauf oder die Beauftragung aus? Was wurde gekauft?
Diese Elemente helfen, Kunden-Jobs zu ermitteln, zu generalisieren und Produkte zu bauen, die den Job noch besser erledigen. Diese Erkenntnisse sind aber auch für Marketing und den Verkauf wertvoll, um noch zielgerichteter zu agieren.
Wie macht man das in der Praxis?
Ein schrittweises, methodisches Vorgehen beschleunigt die Erkenntnisgewinnung und steigert die Qualität der Ergebnisse. Systematische Interviews und eine strukturierte Auswertung im Team erleichtern hierbei das Vorgehen. Die empfohlenen Schritte sind:
- Aufstellung von Kunden-Job-Hypothesen mit den dazugehörigen Pains und Gains. Jobs, Pains und Gains bilden das Kundenprofil und sind Teil des Value Proposition Canvas von Strategyzer.
- Entwicklung von Kandidaten-Profilen, die einem helfen, geeignete Probanden für Jobs-to-Be-Done-Interviews zu rekrutieren.
- Strukturiertes Interviewen der Probanden.
- Auswerten der Interviews im Team. Welche Kräfte, Limitationen und Ereignisse wurden gefunden?
- Zusammenfassung und Bewertung der ausgewerteten Interviews und Priorisierung der Kunden-Jobs.
- Entwicklung einer Value-Proposition pro ausgewähltem Kunden-Job.